Auch wenn in den letzten Jahren das mediale und gesellschaftliche Interesse zum Thema Darmgesundheit durch unzählige populärwissenschaftliche Veröffentlichungen stark gestiegen ist, wurde bereits in der Antike über die gesundheitliche Relevanz des Verdauungstraktes spekuliert. Doch wie eng der Darm mit anderen Organen über Nervenzellen, Hormone, Neurotransmitter und andere Metaboliten in Verbindung steht und welchen Stellenwert er für einen gesunden Stoffwechsel dieser Organe hat, wird gerade erst tiefgründig erforscht. Neben der bekannten Darm-Hirn-Achse gibt es inzwischen auch Ergebnisse, die auf eine Darm-Lungen-Achse, Darm-Nieren-Achse, Darm-Knochen-Achse hinweisen – sowohl im physiologischen als auch im pathophysiologischen Kontext.
Mikroflora: Besser bei Rugby-Spielern als bei Couch-Potatoes!
In einem früheren Artikel haben wir bereits die Darm-Muskel-Achse in Bezug auf Alterung diskutiert. Vor einigen Monaten ist nun eine wissenschaftliche Übersichtsarbeit erschienen, die diverse Untersuchungsergebnisse zum Thema aufgreift und die Relevanz der Wechselwirkungen zwischen körperlicher Aktivität und mikrobieller Darmflora diskutiert. Die am meisten zitierte Studie in diesem Zusammenhang ist eine sogenannte Fall-Kontroll-Studie von 2014, in der die Wissenschaftler zeigen konnten, dass die mikrobielle Vielfalt (eine hohe Vielfalt ist der Indikator für eine gesunde Darmflora) im Darm professioneller Rugby-Spieler deutlich höher war als bei Nicht-Sportlern.
Ökosystem Mensch: Bewegung stimuliert Butyratbildung!
Eine vielfältige Darmflora und das Überwiegen gesundheitsfördernder Bakterienstämme geht mit einer Erhöhung kurzkettiger Fettsäuren einher, hauptsächlich Butyrat, Propionat und Acetat. Diese sind nicht nur wichtig für den Zellstoffwechsel der Darmwand, was sie widerstandsfähiger gegen Schadstoffe macht und deren Eintritt in die Blutbahn verhindert, sondern dienen auch als Nahrungsquelle für andere Darmbakterien. Auf diese Weise wirken sie positiv regulierend auf das Immunsystem ein – wahrscheinlich sogar im zentralen Nervensystem! Ein Gleichgewicht im Ökosystem der Darmbakterien hat somit weitreichende gesundheitsförderliche Wirkungen. Zudem konnte gezeigt werden (wenn auch nur in einem Rattenmodell), dass regelmäßiges, freiwilliges Bewegen über einen Zeitraum von 5 Wochen die Konzentration von Butyrat (4.87 à 8.14 μmol/g) im Blinddarm im Gegensatz zum Acetat (41.7 à 43.9μmol/g) und Propionat (15.2 à 16.6μmol/g) signifikant erhöht. Eine Zunahme an Butyrat konnte kürzlich auch im Stuhl von Menschen beobachtet werden, die sich über einen Zeitraum von 6 Wochen (3x/W) erst moderater und dann intensiver Bewegung aussetzen. Der Effekt ist bei übergewichtigen Personen jedoch deutlich reduziert. In einer Follow-up-Untersuchung 6 Wochen nach Beendigung der Bewegungsintervention hatte sich dieser positive Effekt wieder in Luft zerstäubt.
Darm-Muskel-Achse: Wo ist der Zusammenhang?
Wie eine gesunde Darmflora nun die Muskelphysiologie beeinflusst, wird in der erwähnten Übersichtsarbeit klar herausgestellt. Eine sogenannte Dysbiose hat u.a. folgende Auswirkungen:
- Die Verfügbarkeit wichtiger Aminosäuren aus der Nahrung nimmt ab = Muskelwachstum ist beeinträchtigt
- Die Synthese von B-Vitaminen nimmt ab = Muskelwachstum, antioxidative Kapazität und Regeneration sind beeinträchtigt
- Die Verstoffwechselung von sekundären Pflanzenstoffen nimmt ab = die Mitochondrien (Energiekraftwerke) in den Muskelzellen verlieren an Effizienz und die antioxidative Kapazität ist beeinträchtigt (Resultat: Muskelschwäche)
- Abnehmende Synthese kurzkettiger Fettsäuren = Muskelwachstum ist beeinträchtigt
Abb. 1: Einfluss diverser Faktoren auf die Darmflora und mögliche Konsequenzen. Dysbiose = ungünstiges Verhältnis von guten zu schlechten Darmbakterien.
Huhn oder Ei: Was kommt zuerst – Dysbiose oder Krankheit?
Die o.a. Grafik verlangt nach einer detaillierteren Beschreibung, damit sie besser nachzuvollziehbar ist: Eine akute hochintensive Belastung scheint der Darmflora nicht zuträglich zu sein. Studien zeigen, dass eine temporäre, bewegungsinduzierte Minderversorgung des Darms mit oxidativem Stress und Hitzestress sowie mit der Verminderung schützender Antikörper in der Darmschleimhaut verbunden ist. Über mehrere Wochen durchgeführte hochintensive Bewegungsbelastungen zeigen allerdings auch viele positive Effekte auf z.B. das Immunsystem und bestimmte Gehirnfunktionen, sodass auch ein positiver Effekt einer solchen Intervention auf die Darmflora nicht auszuschließen ist.
Neben hohen körperlichen Belastungen ist seit langem bekannt, dass viele Krankheiten die Darmflora beeinträchtigen. Dabei ist allerdings unklar, was zuerst kommt: die Dysbiose oder die Krankheit? Medikamenteneinnahme und Alterung gehen per se mit einer Dysbiose einher. Demgegenüber wirkt ein aktiver Lebensstil mit täglich moderater Bewegung und eine gesunde, abwechslungsreiche Ernährung (v.a. Verzicht auf Fertigprodukte und übermäßiger Fleischkonsum) positiv-modulierend auf die Darmflora ein. Die Effekte: verringerte Darmdurchlässigkeit, reguliertes Immunsystem, Produktion wichtiger Signal- und Nährstoffe, die nicht nur im Darm vorteilhaft wirken. Im Sinne der Darm-Muskel-Achse könnte somit ein gesundes und funktionierendes Ökosystem im Darm dem altersbedingten Muskelabbau (= Sarkopenie) entgegenwirken und die neuronale Ansteuerung aufrechterhalten, was sich positiv auf die Kraftfähigkeit im Alter auswirkt.
Polypille Bewegung: Bringen Muskeln die Darmflora auf Trab?
Die meisten Assoziationen, die eine Darmdysbiose mit Erkrankungen des Muskels, der Niere, der Lunge oder des zentralen Nervensystems verbinden, wurden allerdings in Querschnittsstudien oder an Tiermodellen nachgewiesen. Zudem handelt es sich häufig um Vermutungen über einen kausalen Zusammenhang. Längsschnittstudien, die einen kausalen Zusammenhang zwischen der Zusammensetzung der Darmflora und dem Ausbruch oder dem Verlauf einer Erkrankung belegen könnten, fehlen bislang (noch). Daher ist es aktuell noch nicht möglich, klinische Ratschläge zu geben.
Aus diesem Grund plädieren die Autoren des Übersichtsartikels für die Intensivierung der Forschung in diesem Feld. Bewegung ist immerhin eine der wichtigsten und gleichzeitig erfolgreichsten Stellschrauben der Gesundheitsbildung. Zu zeigen, welche Bewegungs- oder Trainingsformen bei verschiedenen Erkrankungen oder als Prävention (z. B. bei Risikogruppen) die besten Ergebnisse hinsichtlich einer Veränderung der Darmflora erzielen, ist von hoher klinischer Relevanz. Vielleicht kann irgendwann sogar demonstriert werden, dass sich die Fitness bei Menschen mit gesunder Darmflora leichter aufbauen lässt, als bei einer fehlregulierten Darmflora. Wie dem auch sei: Das Thema bleibt spannend!
Quellen:
- Ticinesi, A. et al. Exercise and immune system as modulators of intestinal microbiome: implications for the gut-muscle axis hypothesis. Exerc Immunol Rev. (2019);25:84-95.
- Clarke, S.F. et al. Exercise and associated dietary extremes impact on gut microbial diversity. Gut 63: 1913-1920, 2014.
- Matsumoto, M. et al. Voluntary running exercise alters microbiota composition and increases n-butyrate concentration in the rat cecum. Biosci Biotechnol Biochem. 2008 Feb;72(2):572-6.
- Allen, J.M. et al. Exercise alters gut microbiota composition and function in lean and obese humans. Med Sci Sports Exerc. 2018 Apr;50(4):747-757.
- Cryan, J.F. & Dinan, T.G. Microbiota and neuroimmune signalling – Metchnikoff to microglia. Nat Rev Gastroenterol Hepatol. 2015 Sep;12(9):494-6.