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Gruß aus der Chemieküche: Vergiften wir uns schleichend selbst? 

19. Mai 2023

von Dr. Jens Freese

Was im Supermarkt auf den ersten Blick appetitlich erscheint, führt bei genauerer Betrachtung häufig zur Schockstarre: Der Blick auf die Zutatenliste. Beispiel Tiefkühl-Apfeltasche: Sie besteht nicht nur aus Teig und Apfelstücken, sondern aus einer ellenlangen Liste komplizierter Bezeichnungen aus der Chemieküche, die ein Laie kaum überblickt.

Die Convenience Food-Industrie und der daraus resultierende Fast-Food-To-Go-Lifestyle des digitalen Zeitalters gehört inzwischen genauso zu unserer modernen Ernährung wie die Trinkwasserversorgung, die Verwendung von Pestiziden und anderer Chemiekeulen der modernen Agrarkultur. Der vordergründige Schutz der Nutzpflanzen vor Fressfeinden, die vermeintliche Erhaltung leistungsfähiger Böden, der übermäßige Gebrauch von Konservierungsmitteln sowie doppelt verpackte Lebensmittel prägen unseren modernen Lebensstil. Während man in den Ozeanen immer mehr Fische mit Giftstoffen und Spuren von Antidepressiva findet1, werden auf Bauerhöfen Tiere in engstem Räumen gehalten, um sie durch Antibibiosen und artfremden Kraftfutter möglichst schnell schlachtreif zu mästen. Auch pflanzliche Nahrungsmittel aus Monokulturen sind durch Verbreitung unzähliger Herbizide eine zunehmende Gefahr für unsere Gesundheit3.

Das heißt: Fertigprodukte und Lebensmittel aus Massenanbau, egal ob aus Tiermast oder Monokultur, bergen eine enormes Risikopotential – vor allem für ein sehr empfindliches Ökosystem in unserem Verdauungsapparat. Denn:

  1. Toxine können im Darm zu schädlichen Produkten verstoffwechselt werden.4,5
  2. Toxine können durch den Darm zur Leber transportiert, dort gebunden und über die Galle zurück in den Darm gelangen. Dort können sie in ihrem zweiten Durchlauf Schaden anrichten.5,6
  3. Toxine können die Darmflora und damit unser Immunsystem direkt beeinflussen, indem sie notwendige Bakterien abtöten oder die Darmwand schädigen.
  4. Toxine können die Funktion physiologisch notwendiger Bakterien beeinflussen und die lebensnotwendige Nährstoffzufuhr beeinträchtigen

Xenobiotika: Schwerstarbeit für unsere Darmflora

Dass viele Fischarten mit Quecksilber verseucht sind und sich tonnenweise Pestizide auf Gemüse und Obst befinden, dürften vielen bekannt sein. Wenigen ist allerdings bewusst, welchen Einfluss Luftverschmutzung, Farbstoffe oder Süßungsmittel auf unsere Nahrungsmittel und somit auch auf unser Darmimmunsystem nehmen. Bereits 1973 wies Scheline in einer Studie darauf hin, dass die Darmflora mindestens so intensiv mit Fremdstoffen (z.B. Medikamente) interagiert wie die Zielorgane selbst7. Entsprechend ist die Liste aller bisher bekannten sogenannten Xenobiotika unüberschaubar lang8. Und Dank dem Erfindungsreichtum der chemischen Industrie und der Apathie der Politik wird sie immer länger und länger.

Folglich ist man selbst bei der gesündesten Bio-Ernährung immer noch unzähligen Schadstoffen der Umwelt ausgesetzt – vor allem in Großstädten. Umso wichtiger ist es also, vermeidbare Stressoren bestmöglich zu vermeiden. Dazu zählen Stoffe aus der Luft, wie z.B. die aktuell viel diskutierten NOX aus älteren Dieselfahrzeugen (und Weihnachtskerzen!). Diese halten sich nicht nur in der Lunge auf, sondern verteilen sich systemisch. Nitrosylierte PAHs (polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe) wirken beispielsweise genotoxisch, mutagen und karzinogen. Auch das Mikrobiom des Darms bleibt davon nicht verschont9. Pestizide wie z.B. Glyphosat fördern die Produktion von Formaldehyd und Ammoniak und sorgen dafür das essentielle Bakterienstämme zugrunde gehen10.

Synthetische Farbstoffe (Azofarbstoffe) sind nicht besser: In der Textil-, Papier-, Ernährungs, Kosmetik- und Pharmaindustrie werden nach aktuellem Stand mindestens 3000 verschiedene Azofarbstoffe eingesetzt. Fünf davon sind für Nahrungsmittel zugelassen: Citrus Red 2, Allura Red, Tartrazin, Sunset Yellow und Orange B. Diese haben zwar bis dato keine bekannten cytotoxische, mutagene oder kanzerogene Effekte. Anders sieht es jedoch bei den sogenannten Sudanfarbstoffen aus – obwohl sie bei Verarbeitung von Nahrungsmitteln verboten sind, werden immer wieder Rückstände davon gefunden. Außerdem werden sie auch in Plastik, Druckerpatronen, Wachs, Leder und Reinigungsmitteln verwendet. Sie gelangen nicht nur durch Nahrungszufuhr in unseren Organismus, sondern auch durch Inhalation und Hautkontakt. Landen sie im Darm, werden sie zu potentiell krebserregenden Stoffen umgewandelt11,12. Selbst wenn bestimmte Fremsstoffe heute als ungefährlich eingestuft werden, zeigt die jüngere Menschheitsgeschichte, dass solche Einschätzungen sich oft als sträflich falsch erweisen, wie z.B. Asbest. Das Zeug treibt bis heute immer noch in vielen alten Schulgemäuern, Kindergärten und Bürokomplexen sein Unwesen.

Die unendliche Liste – ein Horrorfilm der Lebensmittelindustrie?

Diese Liste könnte Bücher füllen. Es wird hoffentlich deutlich, wie sehr wir uns selbst vergiften. Unsere Luft, unsere Nahrung, unser Trinkwasser – alles zeigt Spuren eines bedenkenlosen Umgangs mit unserer Umwelt. Bleibt abzuwarten (oder lieber nicht?), wie sich die Umweltsünden auf die folgenden Generationen auswirken. Einigen kann man nur schwer ausweichen. Andere wiederum können durch die Wahl biologisch hochwertiger, möglichst unverarbeiteter Lebensmittel umgangen werden. Mittelfristig müssen wir uns also ernsthaft Gedanken machen. Ein kurzfristiger Anfang wäre auf Plastik zu verzeichten und Nahrungsmittel zu kaufen, die natürlich entstehen und auf natürlichem Weg wieder auf dem Kompost landen.

 

Quellen:

  1. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4213591/
  2. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK232573/
  3. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4947579/
  4. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/22042266?dopt=Abstract&holding=npg
  5. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/22902524?dopt=Abstract&holding=npg
  6. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3974587/
  7. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/4587548?dopt=Abstract&holding=npg
  8. https://www.nature.com/articles/npjbiofilms20163
  9. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/7821288?dopt=Abstract&holding=npg
  10. http://yourfunctionalmedicine.com/glyphosat-massenpflanzenhaltung-teil-1/
  11. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/22201895?dopt=Abstract&holding=npg
  12. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/19580882?dopt=Abstract&holding=npg

Dr. Jens Freese

Über den Autor

Dozent | Wissenschaftler | Berater

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