Keto, Paläo, Low Carb, Vegan – es wird viel darüber diskutiert und spekuliert, ob der Mensch nun ein Fleisch- oder ein Pflanzenfresser ist. Ganze „Glaubenskriege“ entzünden sich inzwischen an dieser Frage. Aus evolutionärer Sicht: Auf welche Nahrung sind wir als Homo sapiens programmiert? Nicht so einfach zu beantworten, denn anthropologische Funde menschlicher Überreste stammen aus unterschiedlichen geografischen Regionen und Zeitepochen. Anhand dessen versuchen Paläoanthropologen die optimale Ernährung des Menschen abzuleiten. Fakt ist: Unsere nächsten stammbaumlichen Verwandten, die in Mittelafrika lebenden Schimpansen, sind Omnivoren (= Allesfresser). Schimpansen unterscheiden sich von Menschen genetisch um weniger als 2%.
Die führende Theorie über die Entwicklung des Menschen ist, dass Homo sapiens seit jeher pflanzliche Nahrung sammelt und Beutetiere jagd, indem er sie durch hartnäckige Verfolgung in die Müdigkeit treibt. Auf diese Weise beschaffen sich noch heute lebende Urvölker ihre Nahrung, wie die Hadza in Tansania oder die Tsimane im bolivianischen Urwald. In diesem Lichte scheint der Fleischverzehr ein integraler Bestandteil unserer Geschichte zu sein. War das reichhaltiges Proteinangebot unserer Vorfahren der Grundstein für die beispiellose menschliche Gehirnentwicklung, die uns zum alles dominierenden Lebewesen auf diesem Planeten werden ließ?
In der wissenschaftlichen Literatur werden vor allem der Verzehr von Meeresfrüchten und die darin enthaltenen Proteine und Fettsäuren (Omega-3) als möglicher Auslöser der gehirnentwicklung diskutiert. Einige menschliche Organe sind für ein „Säugetier“ unserer Größe verhältnismäßig klein. Die hierdurch eingesparte Energie könnte unserem Denkapparat schließlich zu einem schnellen Wachstum verholfen haben. Die Paläoanthropologen Leslie Aiello und Peter Wheeler nehmen in ihrer berühmten „Expensive Tissue Hypothesis“ (1995) an, dass der energetische Konflikt zwischen den beiden hochenergieintensiven Organen Gehirn und Darm durch Errungenschaften wie dem Kochen zugunsten des Gehirnwachstums ausgefallen sei. Tatsächlich ist der sogenannte Enzephalisationsquotient (EQ: Maß für die relative Größe des Gehirns; >1 = das Gehirn ist schwerer als erwartet) beim Homo sapiens mit 7.6 der mit Abstand größte aller Säugetiere. Die ältesten gesicherten Feuerstellen, die zweifelsfrei durch Vorfahren des Homo sapiens angelegt wurden, stammen aus der Wonderwerk-Höhle in Südafrika. Sie sind etwa 1.7 Millionen Jahre alt – also ungefähr zu Lebzeiten des Homo Erectus. Ungesicherte Quellen gehen von einem EQ beim Homo Erectus von 5.0 aus. Folglich ist der EQ seit dem Beginn der Feuernutzung um etwa 50% angestiegen. Allerdings schätzt man den EQ des Australopithecus Afarensis (lebte vor 2.9 Millionen Jahren) auf 2.2 ein. Dementsprechend wäre der EQ in 1.2 Millionen Jahren auch ganz ohne den Einsatz des Feuers um mehr als 100% auf 5.0 angestiegen. Die Relevanz des Feuers bleibt also zu hinterfragen. In der Konsequenz findet die „Expensive Tissue Hypothesis“ deshalb wissenschaftliche Für- und Gegensprecher. Eine Kritik von einer Züricher Arbeitsgruppe wurde sogar in der hochangesehenen Fachzeitschrift Nature veröffentlicht.
Abb. 1: Enzephalisationsquotienten (EQ) ausgewählter Säugetiere. Der EQ wird hier mit der Katze (=1) als Referenz normiert.
Einer Untersuchung aus dem Jahr 2016 in Nordafrika zufolge (Takarkori und Uan Afuda in der libyschen Sahara) deuten archäobotanische Nachweise von verkohlten und ausgetrockneten Pflanzenstoffen darauf hin, dass Jäger und Sammler aus dem frühen Holozän routinemäßig ein breites Spektrum an pflanzlichen Ressourcen nutzten. Damit wurde der früheste direkte Nachweis (8.200-6.400 vor Christus) für die Verarbeitung von Pflanzen in Keramikgeschirr geliefert. Dennoch kann auf der Basis dieser Daten nicht abschließend beurteilt werden, wie das Verhältnis zwischen pflanzlicher und tierischer Nahrung unserer Vorfahren war.
Neandertaler gelten gemeinhin als Fleischfresser und Jäger großer Säugetiere. Diese gängige Behauptung wurde in den vergangenen Jahren allerdings durch zahlreiche Beweise für einen (wahrscheinlich) ausgeprägten Pflanzenkonsum in Frage gestellt. In einer aktuellen Untersuchung wirft die in der Paläoanthropologie oft genutzte Isotopenanalyse an einzelnen Aminosäuren in Kollagenproben von Neandertalern ein neues Licht auf ihre potentielle Kost: Die Forscher lehnen sich weit aus dem Fenster und behaupten: Die Hauptnahrungsquelle der Neandertaler sei definitiv Fleisch gewesen. Ob dies nun der Grund für sein Ableben war, könnte von Veganern und Vegetariern als Argument herangezogen werden, bleibt aber reine Spekulation.
Und wie sieht nun die optimale Homo sapiens Diät aus? Bei genauerer Betrachtung muss man (leider) zu dem Ergebnis kommen: Nichts Genaues weiß man nicht, obwohl häufig postuliert wird, dass der Körper tierische Eiweiße brauche, um einen Großteil der essentiellen Stoffe produzieren zu können. Nicht ohne Grund ist der Mensch durch seine Zahn- (Beiß-, Reiß- und Eckzähne [Fleischfresser] und Kaumolaren [Pflanzenfresser]) und Darmstruktur ein Allesfresser. Fakt ist: Der Verzehr sowohl Wildfleisch als auch von (vielen) unbehandelten Pflanzen ist gesundheitsförderlich. Der Verzehr von hohen Mengen (rotem) Fleisch ohne regelmäßige körperliche Aktivität kann jedoch gesundheitliche Bedenken aufwerfen, während eine hauptsächlich pflanzliche Kost in der wissenschaftlichen Literatur kaum bis gar nicht hinterfragt wird. Ethisch basierter Vegetarismus ist absolut nachvollziehbar. Wenn uns die Evolution jedoch genetisch darauf programmiert hat, wählerisch sein zu dürfen, warum sollten wir diese Flexibilität nicht nutzen?
Quellen:
- Ruiz-Núñez, B. et al. Lifestyle and nutritional imbalances associated with Western diseases causes and consequences of chronic systemic low-grade inflammation in an evolutionary context. J Nutr Biochem. 2013 Jul;24(7):1183-201.
- Aiello, L.C. & Wheeler, P. The expensive-tissue hypothesis_The brain and the digestive system in human and primate evolution. Current Anthropology 36, no. 2 (Apr., 1995): 199-221.
- Tsuboi, M. et al. Comparative support for the expensive tissue hypothesis: Big brains are correlated with smaller gut and greater parental investment in Lake Tanganyika cichlids. Evolution. 2015 Jan; 69(1): 190–200.
- Navarrete, A. et al. Energetics and the evolution of human brain size. Nature. 2011 Nov 9;480(7375):91-3.
- Dunne, J. et al. Earliest direct evidence of plant processing in prehistoric Saharan pottery. DOI: 10.1038/nplants.2016.194
- Jaouen, K. et al. Exceptionally high δ15N values in collagen single amino acids confirm Neandertals as high-trophic level carnivores. DOI: 10.1073/pnas.1814087116